
Wie unsere inneren Anteile mit dem Nervensystem zusammenhängen: Einblicke aus der IFS-Therapie und der Polyvagal-Theorie
In der Arbeit mit dem Internal Family Systems (IFS)-Modell wird oft gefragt, wie unsere inneren Anteile mit unserem autonomen Nervensystem in Verbindung stehen. Wir erleben es tagtäglich: Plötzlich sind wir überwältigt, ziehen uns zurück, werden wütend – und fragen uns, warum. Die Antwort liegt häufig in der Wechselwirkung zwischen unserem Nervensystem und den inneren Persönlichkeitsanteilen, wie sie in der IFS-Therapie beschrieben werden.
In diesem Beitrag erfährst du:
- Warum Anteile keine bloßen Nervensystem-Zustände sind
- Wie Anteile und das Nervensystem sich gegenseitig beeinflussen
- Was es mit regulierten und dysregulierten Zuständen auf sich hat
- Wie Schutzteile gezielt physiologische Zustände aktivieren können
- Und warum Teile manchmal sogar ein eigenes Nervensystem und Selbst zu haben scheinen
Anteile sind keine Zustände – sondern eigenständige Teil-Persönlichkeiten
Im IFS-Modell wird betont, dass unsere inneren Anteile nicht einfach nur „Zustände“ des Nervensystems sind – also z. B. „mein Sympathikus-Zustand“ oder „mein dorsales Shutdown“ - beides Begriffe aus der Polyvagaltheorie nach Steven Porges. Vielmehr werden Anteile als ganzheitliche innere Persönlichkeiten verstanden – mit eigener Geschichte, Perspektive, Bedürfnissen und sogar Stärken.
Wenn wir anfangen, Teile lediglich als Ausdruck des Nervensystems zu betrachten, verlieren wir laut IFS-Pionier Dick Schwartz und auch anderen Praktiker:innen viel von der Wirksamkeit und Tiefe dieses Ansatzes. Es geht vielmehr darum, den Teilen respektvoll und beziehungsorientiert zu begegnen – als wären sie Menschen in unserem Inneren, die etwas Wichtiges zu sagen haben.
Nervensystem und Anteile beeinflussen sich gegenseitig
Trotzdem gibt es klare Zusammenhänge zwischen inneren Anteilen und Zuständen des Nervensystems. Viele Beschützer und verletzte Anteile sind mit bestimmten physiologischen Zuständen assoziiert:
- Sympathisch aktivierte Anteile sind oft ängstlich, panisch, wütend oder hyperaktiv
- Dorsal geprägte Anteile fühlen sich hoffnungslos, leer, dissoziiert oder tief traurig
Das Nervensystem beeinflusst also welche Anteile aktiv werden.
Gleichzeitig können die Anteile auch das Nervensystem beeinflussen – etwa indem sie gezielt einen Shutdown (dorsaler Vagus) oder eine Aktivierung (Sympathikus) hervorrufen, um uns zu schützen.
Regulierte vs. dysregulierte Zustände – auch bei Anteilen
Ein weiterer zentraler Gedanke stammt von Deb Dana, eine der Pionier:innen der Polyvagaltheorie nach Steven Porges und deren Anwendung in der Psychotherapie:
Zustände wie freudiges Spiel (regulierter Sympathikus) oder meditative Stille (regulierter Dorsal-Zustand) zeigen, dass Aktivierung oder Rückzug nicht automatisch dysfunktional sind. Entscheidend ist, ob ventrale Regulation vorhanden ist – also ob der Zustand von einem Gefühl innerer Sicherheit getragen wird.
Interessanterweise können auch Teile selbst aus einem regulierten oder dysregulierten Zustand heraus agieren. Ein schützender Anteil kann z. B. aus einem ruhigen, klaren Ort heraus helfen – oder im Extremfall toben, schreien oder das System lähmen.
Dasselbe Teil mit derselben Geschichte kann also je nach innerem Zustand ganz unterschiedlich auftreten.
Teile mit bevorzugten Rollen: Regulierte Schutzfunktionen
Viele Teile finden – wenn sie sich sicher fühlen – zu sogenannten bevorzugten Rollen zurück.
Ein Beispiel: Ein Anteil bringt bei Bedarf gezielt sympathische Energie ins System, etwa nach einem langen Tag, wenn noch Energie gebraucht wird, um für die Kinder da zu sein.
Dieser Teil fragt quasi:
„Du brauchst noch etwas Energie – soll ich dir helfen?“
Und bringt dann genau dosierte Mobilisierung, ohne das System zu überfordern.
So wird gesunde Energie mobilisiert – ohne in den Überlebensmodus zu kippen.
Teile haben ein eigenes Selbst – und ein eigenes Nervensystem?
Strategische Nutzung von Überlebenszuständen durch innere Beschützer
Ein besonders faszinierender Aspekt ist die Fähigkeit von Beschützer-Teilen, gezielt Überlebensreaktionen auszulösen – etwa mitten in einer Therapiesitzung. Manche Klient:innen werden plötzlich extrem müde oder verlieren die Konzentration, sobald es in Richtung eines verletzlichen Anteils geht. In vielen Fällen zeigt sich dann ein Schutzanteil, der sinngemäß sagt:
„Das ist zu gefährlich – ich fahre dich jetzt runter, damit du diesen schmerzhaften Teil nicht erreichst.“
Das Nervensystem wird in diesem Fall also strategisch genutzt, um psychischen Schutz zu gewährleisten – ein eindrucksvolles Beispiel für die innere Intelligenz dieser Persönlichkeitsanteile.
Ein weiterer, tief berührender Gedanke:
Ich erlebe es immer wieder in meiner Praxis und auch viele andere erfahrene IFS-Therapeut:innen berichten, dass Teile sich verhalten, als hätten sie ihr eigenes Nervensystem – sie können reguliert oder dysreguliert sein, überreagieren oder klar kommunizieren, je nachdem, wie verbunden sie mit dem Selbst sind.
Und ja – Teile haben auch eigene Teile. Ein wütender Anteil kann z. B. selbst aus einer verletzten Teilstruktur heraus handeln – oder sich im Verlauf der Arbeit seinem eigenen inneren Selbst annähern. Dann beginnt er, statt zu toben, ruhig zu erklären, was er braucht.
Das zeigt: Innere Regulierung ist auch innerhalb von Anteilsstrukturen möglich.
Fallbeispiel: Depolarisierung in komplexen Systemen (z. B. Bipolare Störung)
In hoch polarisieren Systemen, wie sie bei vielen Trauma-Überlebenden vorkommen, kann IFS helfen, Extreme zu mildern.
Ein Beispiel:
Ein Klient mit bipolaren Symptomen hatte Anteile, die hypomanische Zustände gezielt herbeiführten, um depressive Zustände zu kompensieren. Durch die Arbeit mit diesen Teilen, die sich als Gegenspieler polarisiert hatten, konnte das System mehr Selbstpräsenz entwickeln – und die Ausschläge nahmen deutlich ab.
Ob daraus eine Reduktion von Medikation resultieren kann, entscheidet stets die behandelnde ärztliche Fachperson.
Doch die Erkenntnis bleibt:
Manche Extreme entstehen nicht nur biologisch, sondern auch durch innere Dynamiken – und diese können verändert werden.
Fazit: IFS und Nervensystem – ein wechselseitiges Zusammenspiel
Unsere inneren Anteile leben nicht losgelöst vom Körper.
Sie sind verwoben mit unserem Nervensystem – und beeinflussen es ebenso, wie sie von ihm beeinflusst werden.
Manche Teile sind in bestimmten Zuständen beheimatet, andere nutzen Zustände strategisch.
Und: Teile können sich verändern, wenn sie gesehen, gehört und verstanden werden.
Sie können aus extremen Rollen aussteigen und stattdessen reguliert und kooperativ handeln.
Was wir brauchen, ist Neugier, Mitgefühl und die Bereitschaft, mit jedem Teil in Beziehung zu gehen – egal wie er sich zeigt.
Wenn du spürst, dass deine inneren Anteile manchmal dein Körperempfinden, deine Stimmung oder dein Verhalten stark beeinflussen – und du neugierig bist, wie IFS dir helfen kann, mehr innere Balance und Selbstführung zu entwickeln – lade ich dich herzlich zu einem kostenlosen Online-Schnuppertermin ein.
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